Interview: SHORELINE – "Es klingt alles ein bisschen ausgereifter"

Von Alisa Knoll | 3. Februar 2022

Die Band SHORELINE veröffentlicht am 04.02.2022 ihr Album GROWTH via End Hits Records. Dies haben wir uns zum Anlass genommen um mit Sänger Hansol und Gitarrist Julius über ihren persönlichen Wachstum, den Entstehungsprozess und die Relevanz von Aktivismus zu sprechen.

Foto: (c) Kathi | www.instagram.com/kathisterl
Foto: (c) Kathi | www.instagram.com/kathisterl

Old Vinyl: Schön, dass ihr euch die Zeit genommen habt.

Hansol: Geht’s dir denn gut?

Old Vinyl: Danke, ja. Wie geht’s euch denn, so kurz vor Album Release? Seid ihr aufgeregt oder kommt die Aufregung erst mit Veröffentlichung, wenn auch die ersten Reaktionen eintreffen?

Hansol: Voll aufgeregt. Stehen noch paar Interviews und langweiliger Schreibtischkram an, aber wir haben so lange darauf hingearbeitet, jetzt bin ich schon gespannt.

Julius: Voll. Es kommen auch gerade die ersten Reviews rein. Macht Spaß zu sehen wie die Leute es langsam anhören können und glaub ich auch gut finden.

 

Old Vinyl: Ich fand es auch sehr cool, dass ihr eure Rückerstattung vom Schallplatten Presswerk gespendet habt bzw. spenden werdet.

Hansol: Voll. Irgendwie wäre es komisch gewesen einfach so die Farbe auszutauschen. Die Leute hat es auch scheinbar nicht sonderlich schockiert. Es geht nur um Vinyl Farben. Zum Glück ist es aber nicht scheiße geworden (lacht).

Anmerkung der Redaktion: Die Schallplatten sollten blau mit orangefarbenden Spritzern werden. Durch einen Fehler im Presswerk wurden statt der blauen “bierfarbende” Platten produziert. Statt die Fehlproduktion wegzuwerfen, entschied sich die Band dafür diese zu behalten und obendrauf noch den Discount, den sie vom Presswerk bekommen haben, an korientation e.V. (Netzwerk für Asiatisch Deutsche Perspektiven) zu spenden.

Old Vinyl: Wie würdet ihr den Entstehungsprozess beschreiben?

Julius: Ich glaube es war insgesamt bisschen durchdachter und geplanter. Wir hatten auch mehr Zeit das Album zu schreiben. Wir haben angefangen das Songwriting umzustrukturieren, haben viel am PC geschrieben und konnten so viel ausprobieren, was funktioniert oder nicht funktioniert. Ich glaub das hört man auch. Es klingt alles bisschen ausgereifter.

 

Old Vinyl: Das Album trägt den Namen "Growth" - wann habt ihr als Band gemerkt, dass ihr gewachsen seid oder einen großen Sprung gemacht habt?

Hansol: Wäre geil, hätten wir wirklich ‘nen großen Sprung gemacht. (beide lachen) Wir haben ein paar Shows gespielt, das waren die ersten Headline Shows seit 2019 und es waren gefühlt doppelt so viele Leute da. Die Shows sind echt gut gewesen. Die Leute hatten richtig Bock. Die Leute kannten die Band auch und es war nicht wie vor 5 Jahren, dass es Zufall war, wenn Leute auf unserer Show waren. Und als wir den Pre Order für das Album gestartet haben, haben es mehr Leute, als ich erwartet habe, vorbestellt. Das hat mich positiv überrascht.

Julius: Ansonsten hab ich eher das Gefühl, dass es viele kleine Schritte sind. Jetzt wo Hansol es sagt, hat man schon einen Unterschied gemerkt. Es passieren viele kleine Sachen, deshalb fällt es nicht so krass auf.

 

Old Vinyl: Was ist euer Zufluchtsort, wenn die Welt mal wieder besonders scheiße ist?

Julius: Wir haben unseren Proberaum zum Studio umgebaut und da haben wir viel Zeit verbracht. Ich glaube, das wäre mein Zufluchtsort.

Hansol: Find ich gut, da gehe ich mit. Ich glaube das ist ein gutes Zeichen, denn ich hab lang nicht daran gedacht zu flüchten oder ich hab nicht das Bedürfnis zu flüchten. Wahrscheinlich geht’s da aber viel mehr um so unterbewusste Dinge, Sachen die man gern macht wenn’s einem nicht gut. Der Proberaum ist schon so ein Ort. Der Proberaum liegt auf einem alten Hof, mit viel Natur und Felder außen rum und schlechtem Internet (lacht). Man ist da schon bisschen raus von Allem.

Old Vinyl: Man hat euch, vor allem dich Hansol, als eloquente Gesprächspartner angekündigt. Was glaubt ihr macht euch zu eloquenten Gesprächspartner? Seht ihr euch selbst so?

Hansol: Ich hab jetzt paar Interviews gemacht, aber ich glaub das Netteste ist, wenn man ein Gespräch führt. Ich find’s immer etwas merkwürdig, wenn das Interview so ist: eine Seite stellt Fragen und die andere beantwortet sie. Was ja eigentlich sinnvoll ist für ein Interview. Siehst du dich als eloquenten Gesprächspartner, Julius? Ich glaube schon.

Julius: Also du führst ja die meisten Interviews und in dem Kontext hab ich schon den Eindruck, dass du ein eloquenter Gesprächspartner bist.

Hansol: Okay, danke. (beide lachen)

 

Old Vinyl: Was ist denn so gar nicht klassisch Punk an euch?

Hansol: Ich weiß gar nicht mehr was Punk ist und was nicht. Julius und ich interessieren uns seit Kurzem für Mode. Ist das Punk? Bestimmt.

Old Vinyl: Ich glaube nicht.

Julius: Außer es sind Nietengürtel.

 

Old Vinyl: Und was ist dann Punk an euch?

Hansol: Wir spielen halt in einer Band. (beide lachen) Wir sind alle relativ weit links und ernähren uns vegan. Manchmal vergesse ich wie alternativ meine Bubble ist im Vergleich zum Rest von Deutschland. Ich glaub das ist schon Punk. Oder Hardcore. (beide lachen)

Julius: Wir kommen ja beide vom Dorf und ich hatte schon immer sehr stark das Bedürfnis danach, Punk zu sein und so auszusehen, aber hab mich nie getraut.

Hansol: Hattest du eigentlich einen Iro?

Julius: Nein. Aber ich hatte mal grüne Haare für einen Tag. Ich musste mir dafür die Haare blondieren, das Grün war ‘ne Tönung.

Hansol: Also warst du danach einfach blond?

Julius: Nee, noch weniger Punk. Ich hab mir die blonden Haare einfach wieder braun getönt.

Hansol: Wieso hast du das für einen Tag gemacht?

Julius: Weil das Grün scheiße aussah. Dachte das würde cool aussehen, aber es hat mir nicht gefallen. (lacht)

Hansol: Wolltest du aussehen wie Billie Joe Armstrong? Ah nee, der hatte blaue Haare.

Julius: Diese Phase hatte ich auch, aber das hab ich mich auch nicht getraut.

Hansol: Ich hatte mal ‘nen Iro und meinte Mutter fand es richtig schlimm. Sie hat mich abgeholt und die ganze Heimfahrt nicht mit mir geredet.

Julius: Als ich dich kennengelernt hab, kannten wir uns ja nur über Facebook. Und ich hab deine Fotos durchgeguckt und mir ernsthaft gedacht: “Alter, heftiger Typ, der hat ‘nen Iro!” Ich war voll beeindruckt. (lacht)

Hansol: Wirklich? Fandest du das cool oder cringe?

Julius: Das war absolut cool.

 

Old Vinyl: Wie lange hattest du den Iro?

Hansol: Ich hatte den verhältnismäßig lange, so 10. und 11. Klasse. Im Nachhinein schäme ich mich bisschen dafür. Also ich find es schon cool, aber wenn ich Fotos sehe, denke ich mir: “Puh!” (lacht)

Julius: Ich denk das ist das Punkigste was du je gemacht hast, so rein outfitmäßig. (beide lachen)

Old Vinyl: Ihr habt vor ca. zwei Jahren in einem Interview darüber gesprochen, dass ihr eher eine nach außen politische Band seid und es nicht in Songs zum Ausdruck bringt. Das hat sich mittlerweile aber geändert. Sind wir in einer Zeit in der wir laut und aktiv werden müssen? Oder reicht es am Beckenrand zu stehen, zuzusehen und dagegen bzw. für etwas zu sein?

Hansol: Im Prinzip war es damals so, dass wir nicht so Beckenrand Voyeuristen waren. Es war schon so, dass man privat sein Konsumverhalten gestaltet hat; sei es bei Veganismus oder einfach bestimmte Firmen nicht unterstützt. Es war schon so, dass man es in echt gemacht hat und nicht nur dabei zugeschaut hat. Ich glaube was ich damals meinte ist, dass wir es nicht in der Musik ausdrücken, sondern deswegen in Ansagen und Aktionen versuchen zum Ausdruck zu bringen. Ich glaube daran hat sich nicht viel geändert, außer dass es die Musik jetzt explizit macht. Und ich glaub auch, dass die Zeit damals wie heute aktive Handlungen braucht, jetzt wahrscheinlich noch mehr als damals.

Julius: Ich meine rein aus der Perspektive des Songwritings hatten wir nicht mehr Lust dieselben Themen, die wir schon angesprochen haben, wieder zu benutzen. Ich weiß auch, dass du mir das mal aktiv vorgeschlagen hast, dass wir politische Songs schreiben bzw. Songs, die weg von dem sind was wir davor inhaltlich gemacht haben.

Hansol: Ich erinnere mich an das Gespräch. Ich hab gesagt: “Ich kann nicht noch ein Album wie ‘Eat My Soul’ schreiben. Das würde mich nerven.” Es gab diesen Moment der aktiven Entscheidung, dass wir es jetzt anders machen wollen.

 

Old Vinyl: Ich glaube, dass es in der jetzigen Zeit wichtig ist, dass man auch als Einzelperson den Mund aufmacht und nicht nur dagegen oder dafür ist.

Hansol: Ja, wobei ich sagen muss, wenn ich eine Band neu entdecke, sie etwas veröffentlichen und das nicht politisch ist, dann denk ich mir nicht: “Hey, ihr solltet politische Musik machen!”. Ich glaub, selbst wenn wir nochmal das selbe inhaltlich gemacht hätten wie ‘Eat My Soul’ und uns weiterhin nebenbei engagiert hätten, fände ich das auch okay. Den Anspruch hab ich auch an andere Bands.

Old Vinyl: Beendet bitte folgende Sätze:

● Wenn Shoreline ein veganes Gericht wäre, dann wäre es…

Julius: Pizza. Mit Ananas.

Hansol: Das ist dein Call? Interessant. Meiner ist “Wok & Roll Bochum” - A1

Julius: Ohja, stimmt! (beide lachen)

Hansol: Das ist ein Restaurant in Bochum, hinter unserem Studio in dem wir die letzten drei Platten aufgenommen haben. Da gibt’s ein Gericht, das trägt die Nummer A1. Das ist rotes Thai Curry mit Reis und veganer Ente. Wenn wir im Studio sind, essen das Julius und ich on mass, also quasi jeden Tag. (lacht) Wenn es ein Gericht gibt, das in der Entstehung der Alben eine große Rolle gespielt hat, dann ist es die A1 von “Wok & Roll”.

Julius: Ich nehme alles zurück was ich gesagt habe. Das kann ich nicht toppen, das ist schon sehr beschreibend für alles.

 

● Wenn wir unbegrenztes Bühnen Budget hätten,…

Julius: Gute Frage.

Hansol: Ich hab letztens eine Live Show gesehen von … wie heißt Hannah Montana nochmal in echt? Ah, Miley Cyrus. Und ihr gesamtes Backdrop war quasi eine große Leinwand, mit einzeln ansteuerbaren Pixel, so dass man auch Videos draufladen kann. Das sah schon echt cool aus. Da hatte sie eben so passende Illustrationen und Einspieler, die zum Artwork passen. Alleine durch das schlechte Handyvideo hat das schon Stimmung gemacht. (lacht)

Julius: Nur die Frage ist, ob dann auch genug Leute da sind, die es sehen, damit es sich lohnt.

Hansol: Ja, wir würden das halt in der ‘Baracke’ machen; in Münster vor 50 Leuten. (beide lachen) Dann würden wir aber auch Martin in einen Käfig packen wie es Parkway Drive oder Travis Barker machen. Und der Käfig würde sich drehen.

Old Vinyl: Das klingt gut, da sehe ich euch.

Hansol: Da sehe ich uns auch. (beide lachen)

 

● Wenn einer von uns Bundeskanzler wäre,…

Hansol: Woah, gute Frage.

Julius: Ich würde sagen Martin, einfach weil er sehr strukturiert ist. Ich glaube er würde viele Sachen sehr durchdenken und dadurch würden vielleicht viele Sachen gut werden.

Hansol: Ganz losgelöst vom politischen Inhalt, sondern rein vom Charakter her, wäre Martin ein Kanzler wie Olaf Scholz. So abgeklärt, mega professionell, aber keine so ‘ne kultige Person, die durch Weirdness auffällt. Sondern einfach ein guter deutscher Beamter. Ich glaube Martin wäre so ein Kanzler.

Julius: Das würde ich durchwegs als positiv beurteilen.

Hansol: Total. Und du wärst dieser Präsident von diesem Land, das du mir letztens gezeigt hast.

Julius: Das war irgendein südamerikanisches Land, die jetzt Bitcoin als offizielle Währung eingeführt haben.

Hansol: Das Foto was er mir gezeigt hat, war ein echt junger Typ auf einer Bühne mit Mikrofon, das er so gehalten hat, als würde er gerade rappen. Dazu Hemd und umgedrehte Cap. (alle lachen)

Old Vinyl: Was könnt ihr besser als jede andere Band?

Hansol: Teil meines großen Imposter Syndroms ist es, dass ich denke, dass es viele Bands gibt, die vieles besser machen, als wir. Deswegen fällt es mir schwer eine Sache rauszugreifen, bei der ich mir sicher bin, dass wir die auf jeden Fall besser machen.

Julius: Vielleicht Pünktlichkeit. Pünktlich zu Shows kommen.

Hansol: Stimmt. Das ist auch ein Verdienst von Martin. Martin ist immer die Person, die uns alle scheucht, weil wir länger Auto fahren müssen. Du musst um 8 Uhr losfahren und es gibt immer die eine Person, die wacht dann um 07:55 Uhr auf und sagt “Lass mich noch kurz frisch machen”. (beide lachen) Aber doch, ich glaub wir sind immer recht pünktlich.

 

Old Vinyl: Könnt ihr verraten, wer die Person ist, die erst 07:55 Uhr aufsteht?

Hansol: Puh, wir sind lange nicht mehr getourt auch nicht in der Konstellation. Christoph spielt ja noch in der Band Snareset. Ich hab schon paar Mal Christoph im Hausflur den Schlafsack ausgezogen, weil der noch pennen musste. (lacht) Vielleicht hat sich das aber geändert.

 

Old Vinyl: Was war für euch der beste Videodreh bisher?

Julius: Ich glaube Konichiwa. Es hat sich beim Dreh schon herauskristallisiert, dass es ein ziemlich cooles Video wird. Die Location war cool.

Hansol: Stimmt, ich würde auch sagen Konichiwa. Da gibt es ja die Szene, in der wir in Kostümen gegeneinander kämpfen. Das hat schon sehr Spaß gemacht.

Old Vinyl: Wir spielen nun ein Spiel. Ich lese euch drei Kommentare vor, die unter euren neusten Videos gepostet wurden. Ihr müsst erraten, zu welchem Video der Kommentar gehört.

 

● "Riesiger Fan von der Vocalperformance!♡"

Hansol: Vocalperformance? Da könnte ja jeder Song gemeint sein. (beide lachen)
Ich muss raten und sage: Sanctuary.

Julius: Ich sage Meat Free Youth

Old Vinyl: Ihr habt beide nicht recht. Es ist Konichiwa.

 

● "Fetzt übelst - ist kurz - übelst fetzig!!!"

(beide lachen)

Hansol: Zweimal “fetzt” in einem Satz? Geil!

Julius: Ich sage es ist Sanctuary.

Hansol: Ja unter zwei Minuten, dann ist es Sanctuary, oder?

Julius: Der fetzt ja auch ganz schön. (lacht)

Old Vinyl: Ja, liegt ihr beide richtig.

 

● "Animal Liberation in allen Ehren, aber meine Fresse ist das cringe."

(beide lachen)

Julius: Das ist Meat Free Youth. Den Kommentar hab ich auch schon mal gelesen, fand ich sehr witzig.

Hansol: Geil, ey. Das ist das letzte Video bei dem ich sagen würde: “Das ist cringe” , weil es passiert eigentlich nicht viel. Bei anderen Videos von uns könnte man schon sagen, dass es ein bisschen cringe ist. Würde also jemand zu einem anderen Video sagen: “Das ist cringe” dann gäbe es eine Stimme in mir, die sagen würden: “Ja okay, hat er recht.” (beide lachen)

Julius: Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir mit unseren AMPS im Wald stehen und spielen.

Hansol: Das wiederum könnte ich verstehen. Weil es ist schon ein bisschen Klischee: Band steht im Wald und spielt ihr Set.

 

Old Vinyl: Zum Schluss dürft ihr noch kreativ werden und euren Song "Raccoon City" malerisch darstellen.

Hansol: Wir hatten mal eine Shirt Idee, die Julius illustriert hat, weil Julius nicht gut zeichnen kann. Das ist unfassbar spitze geworden, also bin ich dafür, dass Julius einen Waschbär malt.

Old Vinyl: Danke für eure Zeit und Antworten. Viel Erfolg mit der Platte!

Hansol: Vielen Dank. Das hat Spaß gemacht!