INTERVIEW MIT AMY WALD

von Pia Schirmann | 1. Dezember 2020

"Was ist schon normal?"Amy Wald ist gebürtige Salzburgerin und wohnt mittlerweile in Wien. Die Musikerin hatte 2018 den Beschluss gefasst ihren Job zu kündigen und von ihrer Musik zu leben. Im Sommer 2018 ging sie dann als Straßenmusikerin auf Tour, vergangenes Jahr wurde sie auf einer zweiten Tour von ihrer Freundin Vale und der Tätowiererin Dora begleitet. Zusammen mit Vale gründete Amy dieses Jahr das Modelabel „break them FASHION“. Am 27. November erschien außerdem Amys neue Single „Freaks“.

Foto: (c) Valentina Vale
Foto: (c) Valentina Vale

Old Vinyl: Hi Amy! Wann hast du angefangen Musik zu machen?

Amy: Mit 16, als ich für ein Auslandssemester in England war. Meine Gastfamilie hatte eine alte Kindergitarre am Dachboden – der habe ich neue Saiten aufgezogen und meine ersten Akkorde gelernt.

 

Old Vinyl: Ich war live dabei, als Jennifer von Jennifer Rostock vor ausverkaufter Halle verkündete, dass du deinen Job gekündigt hast und du dein Geld jetzt mit Musik verdienen möchtest. Kannst du dieses Gefühl von damals beschreiben? Was waren die größten Schwierigkeiten seit diesem Tag?

Amy: Uff, das war ein krasser Moment, den ich am Anfang auch überhaupt nicht gecheckt habe. Ich saß zu dem Zeitpunkt ganz hinten in der Halle auf einem Geländer und habe von dort aus gefilmt. Also wirklich so weit hinten wie man nur sein konnte (lacht). Dann hat sie angefangen davon zu erzählen und ich hab null gecheckt, dass sie mich meint, bis sie meinen Namen erwähnt hat. Meine Freunde waren alle in den ersten Reihen und Jennifer hat dann zu meinen Freunden runtergeschaut und sie gefragt wo ich bin (lacht). Ich hab dann versucht irgendwie weiter vor zu kommen, aber es war echt viel los und da wird man auch echt nicht so leicht durchgelassen. Irgendwann hat sie mich gesehen und auf mich gedeutet.

An den folgenden Moment kann ich mich noch zu gut erinnern: alle Gesichter im Raum haben sich zeitgleich zu mir umgedreht. Mein Herz ist glaub ich ziemlich in die Hose gerutscht. Seitdem ist es fast immer noch jeden Monat ein Struggle, meine Miete zu zahlen. Am Anfang verdient man echt kaum Kohle mit der Musik. Am ehesten durch Live-Konzerte, aber die sind ja jetzt auch alle weggefallen. Ist also gerade eben wieder ziemlich schwierig.


"SEITDEM HAT GELD FÜR MICH NOCH VIEL WENIGER WERT UND ICH VERSUCHE MICH NICHT DAVON ABZUHALTEN, FREUDE AN DEM ZU HABEN, WAS ICH MACHE"


Old Vinyl: Wie waren die Erfahrungen während der ersten Straßenmusiktour? Gibt es ein Ereignis, das dich und deine Musik in dieser Zeit geprägt hat?

Amy: Ich kann mich besonders an einen Moment erinnern, ich glaube das war in Grömitz. Dort habe ich an der Strandpromenade gespielt, aber neben mir waren unfassbar viele unfassbar gute Straßenkünstler:innen mit Flügel, vielen Instrumenten, krassen Zaubertricks… und ich dazwischen mit Gitarre. Dort habe ich eine halbe Stunde gespielt und keinen Cent verdient.

Normalerweise hätte ich auch echt kein Problem damit gehabt, aber zu dem Zeitpunkt hatte ich gar kein Geld mehr und es war für mich klar, dass ich jetzt Geld verdienen muss oder gezwungen bin nach Hause zu fahren und die Tour abzubrechen, weil ich mir nicht mal mehr Essen leisten konnte. 

Dann ist ein älterer Straßenkünstler zu mir gekommen und hat mich auf einer kleinen Mauer sitzen sehen. Er hat gefragt wie es läuft und ich hab ihm von meiner Lage erzählt. Daraufhin hat er folgendes gesagt: „Gezählt wird erst am Sonntag, jetzt geht es darum, Spaß zu haben und den Moment zu genießen.“ Der Satz ist so krass hängengeblieben, einfach weil er total stimmt – vor allem beim Straßenmusizieren! Seitdem hat Geld für mich noch viel weniger Wert und ich versuche mich nicht davon abzuhalten, Freude an dem zu haben was ich mache.

 

Old Vinyl: Wie würdest du deine Stilrichtung beschreiben? 

Amy: Deutsch-Pop mit elektronischen Elementen und leichten Rock-Einflüssen. Die Rock-Einflüsse werden mit den nächsten Songs hoffentlich noch viel stärker zum Vorschein kommen, weil ich bekomme davon gerade echt nicht genug!

Old Vinyl: Du hast 2019 deine Debüt-EP veröffentlicht, wie lief das im Studio so ab?

Amy: Ich hab die EP tatsächlich noch nie so richtig als Debüt-EP gesehen (lacht). Liegt vielleicht auch daran, dass es eine Akustik-EP ist. Das Ziel mit der EP war es die Lieder, die ich bei der Straßenmusiktour gespielt und geschrieben habe, festzuhalten und als Dankeschön an die Menschen zurückzugeben, die bei der Tour dabei waren. Anfangs war auch nicht geplant sie zu veröffentlichen, aber der Wunsch danach wurde immer lauter und im Endeffekt hat es dann auch gut gepasst! Durch die EP hab ich aber vor allem die GAB Music Factory besser kennengelernt. Dort gibt es neben Proberäumen auch ein Studio. Georg, Besitzer der GAB, war begeistert von den Songs und hat mir angeboten, sie bei ihm im Studio aufzunehmen. Heute ist die GAB mein zweites Wohnzimmer, wir dürfen dort unseren Merchandise lagern, der Sohn von Georg, Joni, ist jetzt mein Manager und im GAB Studio entstehen Vorproduktionen der aktuellen Songs. Für die EP haben wir im Studio gar nicht so viel gemacht, sondern viel mehr versucht, die Live-Stimmung von der Straße einzufangen. Ist eine ganz schöne Herausforderung, aber ich bin happy mit dem Ergebnis!

 

Old Vinyl: Was ist dein persönliches Lieblingslied von dieser EP?

Amy: Schwer zu beantworten! „Gute Reise“ wird immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben, aber ich liebe auch „Alte Wunden“ und „Du“.


"LIVE LIEBE ICH SONGS ZU SPIELEN, BEI DENEN DIE LEUTE MITSINGEN UND TANZEN KÖNNEN"


Old Vinyl: Wie ist „Mehr Als Nur Ein Like“ entstanden? 

Amy: Meine Mama hat Vale und mich auf die Idee gebracht. Vale ist meine Lebensgefährtin und schreibt inzwischen bei allen Songs mit! Bei einer Autofahrt in Salzburg mit meiner Mom hab ich sie einfach mal gefragt worüber ich schreiben soll und sie hatte sofort die Idee mit Social Media. Vermutlich auch, weil sie noch nie großer Fan davon war, dass ich mich viel mit den Sozialen Medien beschäftige.

Ich wollte schon lange darüber schreiben und hatte die Zeile „Aus dem WLAN, aus dem Sinn“ auch schon monatelang im Kopf. Also haben Vale und ich dann einfach konkret angefangen darüber zu schreiben!

 

Old Vinyl: Welches Lied macht live auf der Straße am meisten Spaß und welches auf einer Bühne?

Amy: Puh, die Straße ist unberechenbar! Manchmal funktionieren dort Songs super und am nächsten Tag wieder gar nicht. Auf „Liebesleben“ hab ich auf der Straße echt schon interessante Reaktionen und Blicke bekommen, das macht es sehr spannend für mich! Live liebe ich Songs zu spielen, bei denen die Leute mitsingen und tanzen können! „Mehr Als Nur Ein Like“ haben wir bis jetzt erst zwei Mal live spielen können und das waren echt geile Momente! Also derzeit vermutlich „Mehr Als Nur Ein Like“.

Old Vinyl: Hast du ein Ritual vor einem Auftritt?

Amy: Nein, hab ich noch nicht. Schade eigentlich, wenn ich so darüber nachdenke (lacht). Ich brauche eines!

 

Old Vinyl: Wie ist die neueste Single „Freaks“ entstanden?

Amy: In dem Song geht es um das Thema Mobbing und darüber wollte ich schon wirklich lange schreiben. Es fühlt sich so an, als wäre jetzt der richtige Zeitpunkt für mich darüber zu reden. Die ersten Ideen habe ich mit Vale bereits im Februar 2020 geschrieben, seitdem haben wir am Text gefeilt und geschaut ob wir hinter den Aussagen noch genau so stehen können. Das war mir bei dem Song besonders wichtig – da wollten wir auf keinen Fall einfach schnell was raushauen!

 

Old Vinyl: Wie war der Dreh zum Video von „Freaks“?

Amy: Richtig schön! Wir hatten ein wunderbares Team an Freunden und Bekannten, die mitgespielt haben. Die Stimmung vor Ort war echt ein bisschen magisch und wir sind nach Drehende noch in einer kleineren Runde zusammengesessen und waren einfach nur happy! Aber es war vor allem für Vale und mich auch echt anstrengend und nach dem 14 Stunden Drehtag war unsere Autobatterie auch noch leer (lacht).


"ORANGE, STREET-STYLE, GENDERLESS"


Old Vinyl: Euer Modellabel „break them FASHION” hat auch eine neue „Freaks“ Kollektion: Kannst du die Kollektion in drei Worten beschreiben?

Amy: Orange, Street-Style, Genderless

 

Old Vinyl: Welche Band/Welche*r Künstler*in inspiriert dich?

Amy: Die Art und Weise wie Jon Bellion Musik macht, fand ich immer schon super spannend. Vor allem, weil er sich ganze Songwelten in seinem Kopf aufbaut. Live-Shows von AJR finde ich mind-blowing, weil die sich teilweise echt Dinge einfallen lassen, die ich so noch nie gesehen habe. Jennifer Rostock haben mir vor allem zu meinen Musikanfängen sehr viel Mut gemacht. Außerdem haben Amy Winehouse und Patti Smith haben einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen.

 

Old Vinyl: Welchen Ohrwurm würdest du gerne für immer loswerden?

Amy: Das rote Pferd von Markus Becker – das bleibt echt lange hängen, wenn das meine Schwester ihren Kindern vorsingt!

Old Vinyl: Welche Superkraft hättest du gerne?

Amy: Fliegen wäre schon echt geil!

 

Old Vinyl: Wenn du die Zeit zurückdrehen könntest, würdest du etwas anders machen? Würdest du deine Entscheidungen genauso wieder treffen?

Amy: Ich würde nichts ändern wollen. Klar, ich habe auch schon echt dumme Entscheidungen getroffen oder Menschen enttäuscht, die mir viel bedeuten, aber dann wäre ich sicher nicht da wo ich jetzt bin.

 

Old Vinyl: Was darf man von dir in nächster Zeit noch erwarten?

Amy: Ganz viel Musik, hoffentlich bald wieder viele Live-Shows und sicher ein paar Projekte, die viel zu groß sind für unsere Kapazitäten (die sind immer lustig).

 

Old Vinyl: Möchtest du zum Schluss noch etwas loswerden?

Amy: No place for homophobia, racism, fascism, sexism & hate!